
Ich sitze im Zug von Kufstein nach Wien. An den letzten beiden Tagen habe ich eine tolle Frau kennenlernen dürfen: lebenslustig, warmherzig, neugierig und aktiv.
Frau F. war vor ein paar Jahren mit ihrem Mann aus einem großen Haus in eine kleine Wohnung gezogen. Im alten Haus hatten beide ein eigenes Stockwerk für sich. In der neuen Wohnung sitzen sie nun deutlich enger beieinander. Jeder und jede von uns kann sich sicher vorstellen, was das für eine riesige Umstellung ist. Natürlich – eine Wohnung macht weniger Arbeit und man hat weniger Rennerei. Aber man kann sich einfach auch nicht so gut aus dem Weg gehen. Der Umzug war also mit mehr Bedenken als mit Vorfreude verbunden.
Ein Muttertagsgeschenk an sich selbst
Frau F. hatte vorher schon fleißig ausgemistet. Aber irgendwie fehlte ihr die Struktur. Der rote Faden. Sie wünschte sich ein System, von dem sie sicher sein konnte: “Damit halte ich Ordnung durch.” Also schenkte sie sich selbst zum Muttertag ein Wochenende mit mir (ich fühle mich ein klitzekleines bisschen geschmeichelt, während ich das gerade schreibe).
Frau F. holte mich vom Bahnhof ab und empfing mich im Auto mit den Worten “Sie sehen ja, worum es bei mir geht. Lauter Chaos. Die kleine Wohnung ist für mich einfach nur grauenhaft.” Das Auto war in meinen Augen völlig ok. Klar, im Kofferraum lagen ein paar Sachen. Aber Chaos? Ich war also ziemlich gespannt, was meine Aufgabe sein würde.
In der Wohnung zeigt sie mir gleich ihr Zimmer. Ja, es war ziemlich unruhig, obwohl es nicht vollgestopft war. Die Kategorien stimmten irgendwie nicht. Mir war klar, dass wir vor allem neu ordnen und geschickter einräumen würden. Das würde also die Hauptaufgabe sein.
Obwohl ich schon wusste, dass wir nicht so viel, wie in anderen Wohnungen würden ausmisten müssen, war das aber auch diesmal der erste Schritt. Wie immer: eine Bestandsaufnahme machen und dabei herausfinden, was im eigenen Leben noch so wichtig ist, dass es Platz bekommen soll.
Tag 2: Jetzt kommt der ganze Rest
Für den nächsten Tag hatten wir den ganzen Rest im Visier: Papierkram, Schmuck, Krimskrams, Geräte, Kosmetik – was eben in einem Haushalt so rumkugelt. Nach dem bisherigen Tempo würden wir das locker schaffen. Auch wenn ich die Struktur schon vor mir sah – manchmal musste ich mir ein paar Minuten zum Überlegen nehmen. Ausprobieren, von hier nach dort verschieben.

Ordnung halten ganz nebenbei?
So geht’s!
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Der zweite Tag war für Frau F. eigentlich viel wichtiger, weil sie sich bei der Bestandsaufnahme mit ihren vielen Vorstellungen von sich selbst und ihrem vergangenen Leben beschäftigte. Und sie machte das auf eine grandiose Art und Weise: sie war ehrlich zu sich, realistisch was ihre Situation angeht, dankbar für Vergangenes und pragmatisch in der Umsetzung. Der gestrige Tag mit ihrer Kleidung hatte ihr gezeigt, wie erleichternd das Loslassen ist. Sie war jetzt schon geübter im Entscheiden. Deshalb konnten wir die heiklen Kategorien mit Schwung abarbeiten.
Zorn und Erkenntnis
Als wir ihre ganzen Geräte auf dem Sofa gesammelt hatten, verließ sie auch einmal der Gleichmut. Die Wut auf sich selbst erwischte sie und sie kam recht deftig ins Schimpfen “Warum ich mir immer diesen ganzen Scheiß kaufen muss!”
Naja – weil sie sich davon eine Verbesserung ihres Lebens versprach. Traf die nicht schnell genug ein (z.B. weil sie nicht lange genug dranblieb), machte sie sich auf die Suche nach einem neuen, besseren Gerät los. Die Onlinewerbung und die TV-Shopping-Kanäle kamen ihr da auch wuuuuuunderbar entgegen. Dankeschön auch!
Kichern musste sie über sich, als sie mir ihre ganzen Materialien zum Englisch lernen zeigte: Bücher, Kassetten, CDs zu 3 verschiedenen Lehrmethoden, Karteikästen – you name it. Aber ohne Beständigkeit bringen weder Rosetta Stone noch Asimil eine Fremdsprache in Kopf und Mund. Jede Methode bringt einen weiter. Solange man sich ihr beständig widmet.
“Ich hab halt dauernd aus Frust gekauft”
In den letzten Jahren war sie nicht besonders glücklich gewesen. Mit Frustkäufen hatte sie über die Jahre versucht, wieder zufriedener mit sich und ihrem Leben zu werden. Natürlich hat das nicht geklappt. In ihrem alten Haus ist ihr das dauernde Anhäufen aber nicht aufgefallen. Die Dinge haben sich wunderbar verteilt. Die kleine Wohnung aber förderte das alles drastisch zu Tage. Mit jedem Stück, von dem sich Frau F. getrennt hat, ist auch der Frust gegangen, den sie beim Kauf gespürt hatte. Eine ganze Menge Frust hat da die kleine Wohnung verlassen und Platz gemacht für die Chance auf innere Zufriedenheit.
Frau F. wollte den Knoten lösen. Den äußen Knoten hat sie auf jeden Fall gelöst. Genau das war ihr Wunsch. Denn ihre Hoffnung ist, dass sie sich jetzt auch mit ihrem inneren Knoten befreiter beschäftigen kann.
Es war ein super Auftrag! Und vielleicht kempeln wir bald nochmal die Ärmel hoch: die Abstellkammer, die Küche und der Keller warten noch.
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